Tagebau Schleenhain 2015 - am Aussichtspunkt in Deutzen (Sachsen)

 

Vielleicht ist es bezeichnend festzustellen:

 

Nicht jeder Aussichtspunkt verspricht auch in jeder Hinsicht gute Aussichten. Rein dem Worte nach sollte dies allerdings so sein. In Deutzen, unweit der Orte Schleenhain und Regis-Breitingen, quasi: dazwischen, ist dafür gesorgt, dass Schaulustige sich in diesem Sinne umsonst auf den Weg machen.

 

Am 31. März 2015 ist es allerdings nicht der über unser Deutschland stürmende Orkan, der Aussichten verhindert, die besser sein könnten. Am Aussichtspunkt für den Tagebau Schleenhain gibt es keine guten Aussichten, nicht auf eine dem Auge gefällige Landschaft, aber auch nicht auf gute Zukunft.

 

Fernglas und Kamera fahren an diesem Tage, trotz Orkan „Niklas“, mit dem Auto von Burkersdorf bei Altenburg zuerst nach Regis-Breitingen. Fernglas steuert unseren PKW sicher durch die Winde und zielgerichtet dorthin, wo wir zusammen nachschauen wollen, was uns an vergangene (DDR-)Zeiten erinnert. Kamera ist bereits im fahrenden Auto sehr aktiv und vor allem begierig, viele Eindrücke auch sensitiv in sich aufzunehmen. Zunächst kommen Landschaftsbilder in die digitale Kiste, teils herrliche Motive mit interessanten Wolkenbildern. Später ist auf einigen davon durchaus der „Niklas“ zu erkennen, andere zeigen davon fast nichts, obwohl sich Kamera oft nur mit sehr viel Mühe aufrecht halten und betätigen kann. Fernglas ergeht es ähnlich und - immer einen Schritt voraus - ist erforderlich, sich nach Kamera umzudrehen. Die Verständigung ist zu jeder Zeit außerhalb des PKW sehr schwierig.

 

Nach einer kurzweiligen Ortsbesichtigung in Regis-Breitingen fahren wir gezielt über die, unter Einheimischen heute immer noch so bekannte „Regiser Kippe“. Eigentlich eine langgestreckte, nicht besiedelte und nur wenig vegetativ aufgeforstete Halde eines ehemaligen Tagebaus. Die Straße ist asphaltiert und nicht breit, aber Schlaglöcher halten sich - im Gegensatz zu früher - in Grenzen. Rechts und links ist der Baumbestand sehr eintönig. Bäume, die dort gepflanzt sind, müssen schnell wachsen. Sie sollen den guten Eindruck vermitteln, dass alles wieder in Ordnung ist: Die „Regiser Kippe“ ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Man kann auch sagen: Ein historisches Industrie-Denkmal. Doch auf solche Idee kommt selbst in Sachsen niemand.

 

Sehr schnell fahren wir gen Deutzen, kleine Gemeinde, die schon seit allen Zeiten einen Bahnhof kennt. In DDR-Zeiten ist dieser immer sehr dreckig, so erinnern wir uns und sind gespannt, was uns in aktueller Zeit nun erwartet, denn unweit dieses Deutzener Bahnhofs liegt der „Aussichtspunkt zum Tagebau Schleenhain“.

 

Zuerst wird die Straße breiter, auf der wir fahren. Kamera strengt sich mächtig an, viele gute Fotos einzufangen, obwohl es schon regnet. Fernglas betätigt gern häufig die Scheibenwischer, damit auch wirklich gute Bilder in die digitale Kiste wandern.

 

Wir fahren in Deutzen ein, ganz wie ein pünktlicher Zug, doch aber auf einer geteerten Straße, die verspricht, dass doch alles seine Ordnung beweist. Wir fragen uns aber:


Wie lange noch? Werden unsere ersten Eindrücke an diesem Tage weiter bestehen oder sich sehr bald wandeln?

 

Unser Auto stellen wir am Bahnhof ab. Dort ist ein rot-weißes Absperrband gezogen. Kamera sieht es, überlegt nicht lange und schießt ein Foto. Das reicht, davon ist auch Fernglas überzeugt. So ein Absperrband ist auch nicht ungewöhnlich an einem Bahnhof mit naturbelassenem PKW-Parkplatz. Zwar ist „Park and ride“ dort nicht ausgeschrieben, doch ersichtlich, dass der mit einem Absperrband umwehrte Platz dafür von Zugreisenden genutzt wird.

 

Kamera folgt Fernglas zum „Aussichtspunkt Tagebau Schleenhain“. Orkan Niklas will das nicht gefallen. Mit jedem Schritt voran macht der tosende Sturm mehr Ärger. Neben uns verläuft eine Hochspannungsleitung, die all unseren vormalig langjährigen Erfahrungen nach unbedingt unter Strom steht. Kamera bemerkt, dass Fernglas laufend voraus schaut und tapfer gegen den starken Wind ankämpft. Es bleibt zu überlegen, was Fernglas mit den Sinnen sucht.

 

Nach ungefähr 200 Metern leicht hügelan, wenden wir uns nach rechts und laufen parallel zur Hochspannungsleitung, die auch rechts von uns verläuft. Linker Hand tut sich der Blick auf zum Tagebau Schleenhain: Eine "Landschaft" mit vielen dunklen Kratern, in denen zum Teil Wasser steht. Wir laufen auf Erdreich. Der Boden ist feucht, steinig und weich. Die Asphaltstraße liegt längst hinter uns. Kamera fotografiert, was das Zeug hält. Trotz Sturm und Hochspannungsleitung, deren Sirren wegen „Niklas“ kaum noch zu hören ist, kommen zahlreiche Fotos zustande und werden später von uns für „gut“, manche auch „sehr gut“, befunden.

 

Als Fernglas inne hält, verharrt auch Kamera. Fernglas scheint sich an etwas zu erinnern und sagt: „Hier ungefähr ist das einstige Areal des abgebaggerten Ortes Heuersdorf.“ Kamera bemerkt, wie traurig sich Fernglas bei diesen Worten anhört. Fernglas erinnert Heuersdorf für immer als Heimatort. Kamera schießt noch mehr Bilder. Dann ist der offizielle, in den Medien sehr belobte „Aussichtspunkt Tagebau Schleenhain“ erreicht:

 

Eine ebene Fläche, von einem nur halb gesicherten Geländer dürftig umgeben. Dazu „Plattform“ zu sagen, käme einer Lüge gleich. Der Boden unter unseren Füßen ist Erde. Die Aussicht für unsere Augen einer Marslandschaft vergleichbar. „Mondlandschaft“ ist ein zu schöner Begriff für das, was wir an diesem Tage dort sehen:

 

Vor uns tiefe Baggerkrater, alles dunkle Löcher von immensen Ausmaßen und teils geflutet vom Regen. In der Ferne ein qualmendes Kraftwerk. In der Höhe eine Flagge, auf welcher MIBRAG* zu lesen steht.

 

Hinter uns summt die Hochspannungsleitung. Wir wissen es und hören sie noch immer nicht. Orkan Niklas tobt wie Beelzebub und kennt kein Erbarmen. So müssen wir den Aussichtspunkt gleich darauf schon wieder verlassen. Wir sind schwer enttäuscht, nicht nur von „Niklas“, dem Orkanartigen, der Aussichten verhindert, sondern auch von der Zukunft, die zu sehen unseren Sinnen an diesem Tage wahrlich kein Vergnügen bot.

 

*MIBRAG - Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH 

 

Text: ©skb2015